Die arabische Welt und der Islam 600–799
Der Islam, die jüngste der
Weltreligionen, entstand erst im frühen 7. Jahrhundert in einem Gebiet,
das zu den unwirtlichsten der Erde zählt: in einer heißen, ausgedörrten
Landschaft, die sich eine Million Quadratkilometer weit zwischen Asien und
Afrika erstreckt.
Arabien
Im Ursprungsland des Islam lebten im
6. und 7. Jahrhundert überwiegend nomadisierende Beduinen unter
einfachsten Bedingungen; zwischen ihren Stämmen herrschte häufig
Blutfehde. Die drei bedeutenden Städte Nordarabiens lagen alle im gebirgigen
Landstrich Hedjas, zwischen Rotem Meer im Westen und der großen Wüste
im Osten, nämlich Jasrib (das spätere Medina), Taif und Mekka. Wegen
seiner verkehrsgünstigen Lage (Knotenpunkt des Karawanenhandels) war
Mekka die blühendste dieser drei Städte. Führende Bürger
gehörten der Koraischiten-Sippe an, die in Mekka regierte. Zu ihrem Wohlstand
trugen u. a. die Pilger bei, die zur Kaaba, der heiligsten Stätte
der Araber, reisten. Dort wird noch heute der Schwarze Stein (ein Meteorit)
von den Muslimen als heilig verehrt. Allah, später einziger Gott der
Muslime, war damals eine der Hauptgottheiten Mekkas, wo noch etwa 300 weitere
Götter und Göttinnen angebetet wurden.
Mohammed
In Mekka wurde um 570 Mohammed als Sohn eines verarmten
Koraischiten geboren. Im Jahr 610 erschien ihm auf dem Berg Hira der Erzengel
Gabriel, der ihm verkündete, Mohammed sei der Apostel und Gesandte Gottes.
Nach anfänglichem Zweifel begann Mohammed 613 in Mekka öffentlich
zu predigen, was der Engel ihm verkündet hatte, u. a., dass Allah
der alleinige Gott ist, vor dem alle Gläubigen gleich sind. Mohammeds
Anhänger nannten diese neue Lehre „Islam“ („Ergebung
in den Willen Gottes“). Mit seinen Predigten gab Mohammed den armen
Beduinen neue Perspektiven. Galt bislang nur Reichtum als Maßstab des
Erfolges, so machte der Islam auch den Armen Hoffnung auf ein besseres dies-
und vor allem jenseitiges Leben. Die reichen Koraischiten Mekkas bekämpften
dagegen die neue Lehre, weil sie ihre Lebensweise in Frage stellte. Daher
verließ Mohammed 622 Mekka in Richtung Jasrib, das nun den Namen „Medina“
(Stadt des Gesandten) erhielt. Dieser Auszug Mohammeds, „Hedschra“
genannt, gilt als Beginn der islamischen Zeitrechnung.Mohammed verkündete
auch soziale und gesetzgeberische Richtlinien. So verbesserte er die Stellung
der arabischen Frau (z. B. Reduzierung der bis dahin unbeschränkten
Polygamie auf eine Ehe mit vier Frauen, die alle gleich gut zu behandeln sind).
Der Koran
In vielen Aussagen des Koran, des heiligen
Buches der Muslime (das Wort Gottes, vermittelt durch Mohammed), finden sich
Entsprechungen zum Alten und Neuen Testament. Das hängt damit zusammen,
dass der Islam sich nicht als ganz neuen Glauben, sondern als endgültige
Offenbarung nach den Vorläufern der jüdisch-christlichen Religionen
verstand. Schon bald gewann Mohammed Anhänger unter kriegerischen Beduinenstämmen,
die durch den gemeinsamen Glauben ihre Stammesrivalitäten überwanden.
Der Islam entwickelte sich zur Grundlage eines theokratischen Gemeinwesens,
dessen sendungsbewuße Militanz sich zunächst gegen die Koraischiten
Mekkas richtete, das 630 erobert und geistiges Zentrum des Islam wurde. Im
Jahr 632 starb Mohammed. Es war ihm gelungen, die jüdisch-christliche
Tradition eines einzigen Gottes und ein unterschwellig vorhandenes arabisches
Nationalgefühl zu einen.
Der Islam
Fünf rituelle Pflichten, die „fünf
Säulen des Islam“, bestimmen das Leben eines Gläubigen bis
zum heutigen Tag: der Glaube an den einen Gott, dessen Prophet Mohammed ist; das fünfmal
täglich zu verrichtende Gebet; das Geben von Almosen (Zakat), wodurch
der verbleibende Rest des Besitzes „gereinigt“ wird; das Fasten
im Monat Ramadan und schließlich die Pilgerfahrt nach Mekka (Hadsch),
die jeder Muslim – falls er finanziell und körperlich dazu in der
Lage ist – einmal in seinem Leben unternehmen soll. Das Erlebnis von
Einheit und Stärke, das aus der Pilgerfahrt resultiert, trug wesentlich
dazu bei, das arabische Reich zu einigen. Nach dem Tod des Propheten entwickelte
sich die religiöse Gemeinschaft des Islam durch Eroberungen zu einem
machtvollen politischen Reich, in das die Muslime in kurzer Zeit Palästina,
Syrien, Ägypten und fast ganz Persien eingliederten. Die einheimische
Bevölkerung in diesen Gebieten empfing die Eroberer als Befreier von
der byzantinischen und persischen Herrschaft. Die Araber ließen die
bestehenden Verwaltungsorganisationen weit gehend unangetastet. Angehörigen
der „Schriftreligionen“ (Juden, Christen, Zarathustra-Anhänger)
wurde gegen eine Kopfsteuer Religionsfreiheit gewährt. Mit der Eroberung
im Zeichen des Islam ging also keine Zwangsbekehrung einher.
Die Kalifen
Die ersten vier „rechtgeleiteten“
Kalifen (Nachfolger Mohammeds), die das goldene Zeitalter des Islam begründeten,
waren Abu Bakr, Omar I., Othman und Ali Ibn Abi Talib,
dem sich aber mit Moawija I.
ein Gegenkalif entgegenstellte. Die Anhänger Alis,
die Schiiten, spalteten sich ab. Ihre islamische Konfession ist heute vor
allem im Iran beheimatet. Moawija begründete die Omaijaden-Dynastie (661–750)
mit der Hauptstadt Damaskus. Unter den Omaijaden breitete sich der Islam nach
Nordafrika aus. 711 setzten die Araber bei Gibraltar nach Europa über
und eroberten fast die gesamte Iberische Halbinsel. Im selben Jahr erreichten
sie im Osten Indien. Nachdem innere Konflikte die Omaijaden-Dynastie jahrzehntelang
geschwächt hatten, wurde sie durch die Dynastie der Abbasiden abgelöst
(750–1258), die von ihrer Hauptstadt Bagdad aus das islamische Reich
500 Jahre lang regierten. Unter ihnen ebbten die Eroberungskriege ab, und
das Reich lebte in relativem inneren und äußeren Frieden. Der Islam
hatte sich als religiöse und politische Macht durchgesetzt.