Der Aufstieg Russlands1700–1725
Iwan IV., der erste Zar
Russlands, hinterließ nach seinem Tode 1584 ein durch teure Kriege und
inneren Terror ausgehöhltes Reich. Während des 17. Jahrhunderts
gelang seinen Nachfolgern die Stabilisierung.
Peter I., der Große, modernisierte Russland
während seiner Amtszeit 1682/89–1725 durch Reformen nach westlichen
Vorbildern. Außenpolitisch etablierte er Russland als beherrschende
Macht im Ostseeraum und leitete die Expansion nach Südwesten und Süden
ein.
Russlands Weg nach Westen
Polen blieb der Hauptkonkurrent des
russischen Reiches nach dem Tode Iwans IV. und strebte eine Personalunion
an. Erst mit der Thronbesteigung von
Michail Fjodorowitsch 1613, dem ersten Herrscher aus
dem Geschlecht der Romanow, setzte eine langsame Stabilisierung der Zarenmacht
ein. Er bekämpfte die Anarchie im Innern und schloss mit Polen (1617)
und Schweden (1634) Frieden. Die Grenzen des Reiches blieben aber unbefriedigend:
Russland besaß keinen Zugang zur Ostsee, über die der Handel mit
Europa abgewickelt wurde. Sibirien war ein noch weit gehend unerschlossener
Raum. Im Süden hielten sich einzelne Mongolenherrscher. Das Osmanische
Reich sperrte das Schwarze Meer und drohte mit einer territorialen Ausweitung
nach Norden. Eine erneute Westexpansionwurde erst mit dem Regierungsantritt
von Alexei Michailowitsch 1645 möglich. Im Norden blieb der Zar gegen das auf dem Höhepunkt
seiner Macht stehende Schweden in einem Krieg 1656–1658 machtlos. Die
heutigen russischen Ostseeterritorien blieben in der Hand der schwedischen
Krone. Erfolgreich zeigte sich jedoch sein langjähriger Krieg gegen Polen,
der 1667 mit der Annexion der Ukraine bis zum Dnjepr endete. Der polnische
Staat als Hauptkonkurrent war damit ausgeschaltet. Die inneren Reformen des
Zaren besaßen besonders durch ein 1649 erlassenes Gesetzbuch großes
Gewicht: Es blieb bis ins 19. Jahrhundert hinein gültig und schrieb
die Leibeigenschaft der Bauern (Schollengebundenheit) fest.
Zar Peter der Große
Der entscheidende Wandel von einer regional
bedeutsamen Macht zu einem Staat von europäischer Geltung vollzog Zar Peter I.,
der Große. 1689 entmachtete der erst 17-jährige seine Halbschwester
Sophie und seinen Halbbruder Iwan V. und festigte seine Herrschaft endgültig
1698 mit der Niederschlagung der Strelitzen, den Angehörigen des ersten
stehenden Heeres in Russland. Peter zeigte sich dem Westen gegenüber
aufgeschlossen und war der tiefen Überzeugung, dass eine Modernisierung
des veralteten russischen Staates mit seiner Cliquenherrschaft nur durch Einführung
westlicher Technologien und Verwaltungsmethoden möglich sei. Das anfangs
oberste Ziel des Herrschers war die Gewinnung von Territorien an der Ostseeküste,
um den Handel mit Europa durch die dortigen, relativ eisfreien Häfen
ganzjährig betreiben zu können. Dieses Ziel war nur durch die Niederschlagung
Schwedens möglich. Letztlich dienten alle Reformen Peters des Großen
der Steigerung der militärischen Effizienz des Staates durch Ausschöpfung
seiner Ressourcen.
Aufstieg zur europäischen Großmacht
Der Große Nordische Krieg von
1700 bis 1721 brachte Russland die lange begehrte Ostseeanrainerschaft. Auf
verschiedenen, teilweise inkognito durchgeführten Reisen nach Westeuropa
hatte Peter sich besonders für die englischen und niederländischen
Schiffswerften interessiert. Wieder in Russland, wurde er zum Schöpfer
der russischen Flotte, die die Ostsee beherrschen sollte. 1703 gründete
er Sankt Petersburg im Nordwesten und etablierte es 1712 als neue Hauptstadt
seines Reiches. Die Residenzstädte Westeuropas dienten als Vorbild für
die aufwändige Architektur der neuen Zarenresidenz, die schnell als schönste
Stadt Russlands galt. Im ganzen Reich ließ Peter (mit allerdings wechselndem
Erfolg) Rüstungsbetriebe und neue Industriezweige begründen, um
die Ausrüstung der russischen Armee auf das Niveau Westeuropas zu heben.
1721 schloss er mit Schweden den Frieden von Nystad, der Russland den Gewinn
von Livland, Estland, Ingermanland und Teilen Kareliens einbrachte. Das Zarenreich
löste Schweden als dominante Macht in Nordeuropa ab und war neben Großbritannien,
Frankreich und Österreich zur vierten Großmacht Europas aufgestiegen.
Innenpolitische Reformen
Im Innern förderte Peter I.
die Verbreitung der Wissenschaft, die er ebenfalls als eines der Mittel zur
Ausnutzung der Staatsressourcen betrachtete. Die Ausbildung der Offiziere
wurde verbessert, die Beamten erhielten Schulungen in westlichen Verwaltungsmethoden.
Der immer eifersüchtig seine Rechte wahrende und daher aufstandsbereite
Adel wurde zwar wieder in die Staatsleitung einbezogen, doch verringerte der
Zar die Anzahl der traditionell fest verwurzelten Erbämter. In wichtigen
Bereichen der Staatsverwaltung führte er das Leistungs- und Eignungsprinzip
ein. Generell waren alle Adeligen dienstpflichtig, sei es in der Armee oder
in den zivilen Bereichen. Negativ bei aller Reformfreudigkeit des Zaren wirkte
sich seine Sprunghaftigkeit aus. Anstehende Probleme und Konflikte wurden
ad hoc und improvisiert gelöst. Dadurch ergab sich gerade in der Verwaltung
eine undurchsichtige Kompetenzlage, die zu Reibungsverlusten führte.
Expansion nach Süden
Erste Expansionsversuche nach Süden
scheiterten bereits 1713, da sich das Osmanische Reich noch als zu mächtiger
Gegner erwies. Nach dem Tod Peter des Großen 1725 nahmen seine Nachfolger
die Konfrontationsstellung gegenüber den Osmanen aber erneut auf (russisch-türkische
Kriege). Neben dem Westen und Mittelasien wurde der Drang nach Süden
seit Peter dem Großen zu einer der tragenden Konstanten der russischen
Außenpolitik, die das Zarenreich schließlich in Gegensatz zu den
österreichischen Interessen auf dem Balkan bringen sollte. Diese Konstellation
entlud sich schließlich fast 200 Jahre später nach zahlreichen
Krisen europäischen Ausmaßes im Ersten Weltkrieg 1914–1918.