Altamerikanische Kulturen 1400–1499
Um 40 000 v. Chr.
sind die Indianer nach Amerika eingewandert, wahrscheinlich über die
vereiste Beringstraße zwischen Sibirien und Alaska. Bis zum Eintreffen
der Portugiesen und Spanier Ende des 15. Jahrhunderts entwickelten sich
zahlreiche Völker und Stämme (125 Sprachfamilien), die sich teilweise
in hochstehenden Kulturen organisierten. Die bekanntesten Reichsformationen
sind das Maya-Reich auf der Halbinsel Yucatan, das Azteken-Reich im mexikanischen
Raum und der Riesenstaat der Inka im Andengebirge. Die Ankunft der europäischen
Kolonialmächte leitete eine rasche Niederwerfung ein und prägt den
amerikanischen Kontinent bis heute.
Maya
Die Blütezeit der Maya lässt
sich archäologisch auf die Zeit zwischen dem 3. und 10. Jahrhundert
n. Chr. datieren. Charakteristisches Merkmal der Maya ist eine ausgeprägte
Stadtkultur, wobei der Siedlungsort nach astronomischen Gesichtspunkten gewählt
wurde. Mathematik und Astronomie befanden sich auf hohem Niveau. Architektonisch
dominierte der rechteckige Raum und bei religiösen Bauten die Pyramide.
Die Götterwelt war von Vielfalt geprägt, doch gab es im Sonnengott
Itzamna den Glauben an eine höchste, alles dominierende Instanz. Nach
900 setzte aus unbekannten Gründen ein rapider Verfall des Reiches ein.
Viele der zahllosen Stelen (Götterbilder) weisen mutwillige Zerstörungen
auf. Nachfolgend errichtete Bauten besitzen keinen Bezug mehr zu dem aus astronomischen
Erkenntnissen entwickelten Kalendersystem, das in der Blütezeit der Maya-Kultur
das Leben der Einwohner in fast neurotischer Manier geprägt zu haben
schien.
Azteken
Unter dem Herrscher Itzcoatl begann
1428 mit dem Sieg über die Tepaneken der Aufstieg der Azteken zur Vormacht
im mittelamerikanischen Raum. Ausgehend von der Aztekenstadt Tenochtitlán
entstand ein relativ lockerer Reichsverband, der auf Tributpflichtigkeit unterworfener
Städte und Völker basierte, ihnen aber die Unabhängigkeit beließ.
Ende des 15. Jahrhunderts war Tenochtitlán mit 100 000–300 000
Einwohnern eine der größten Städte der Welt. Es erinnerte
mit seinen zahlreichen Entwässerungskanälen an Venedig. Hauptverkehrsmittel
war das Boot, und die Versorgung der Stadt wurde mittels Schwimmender Gärten
gesichert. Die Gesellschaft war in Sippengemeinschaften – sog. Calpulli
– gegliedert, deren Angehörige weit gehende Rechte hatten. Daneben
gab es Hörige (wahrscheinlich Ureinwohner) und auch in geringer Menge
Sklaven, die jedoch nicht ethnisch definiert waren, sondern Schulddienst ableisteten.
Der Menschenopferkult war in mehreren altamerikanischen Kulturen verbreitet,
fand seinen Höhepunkt aber erst unter den Azteken. Ihre Religion zeichnete
ein außerordentlich pessimistisches Weltbild, das von einem regelmäßigen
Untergang des Universums und anschließender Neuerschaffung ausging.
Die Gunst des wichtigsten aztekischen Gottes Huitzilopochtli sollte durch
die rituell vollzogene Tötung gesichert werden. Dabei wurde dem Opfer
bei lebendigem Leib das Herz entnommen und das Blut auf Gottesstatuen gestrichen.
Dem Frühlings- und Fruchtbarkeitsgott Xipetotec huldigte die Priesterschaft
durch Überstreifen der abgezogenen Haut eines menschlichen Opfers. Neben
den eigentlichen Stammesgöttern integrierten die Azteken – ähnlich
wie die Römer in Europa – in ihre Religion auch die Götter
unterworfener Völkerschaften, um sie enger an sich zu binden.
Inka
Das Riesenreich der Inka entwickelte
sich etwa zeitgleich zum Aztekenreich, war aber weitaus zentralistischer organisiert.
Ausgehend vom Cuzco-Tal in Südperu unterwarfen die Inka bis etwa 1525
faktisch den gesamten Andenraum Ecuadors, Perus, Boliviens sowie Teile von
Argentinien und Chile auf einer Länge von 4000 km. An der Spitze
des Staates stand der „Inka“ als absoluter Herrscher, der als
Sohn des Sonnengottes verehrt wurde. Die Machtausübung beruhte auf einer
Art Belohnungsprinzip: Unterworfene Völker wurden durch Beute aus weiteren
Eroberungszügen belohnt und hatten somit ein Interesse an der Inka-Suprematie.
Ihre Herrscher gehörten zur Oberschicht des Reiches. Verwaltungstechnisch
befand sich das Reich auf einer hohen Stufe: Die gesamte Bevölkerung
war nach dem Dezimalsystem gegliedert und in Zehner-Gruppen als kleinster
Einheit erfasst. Die Daten wurden in den berühmten Knotenschnüren
erfasst, die keine Schrift, sondern ein Rechensystem bildeten. Die Nachrichtenübermittlung
wurde durch Stafettenläufer organisiert, die sich des 16 000 km
langen Straßennetzes bedienen konnten. Daneben förderte die gemeinsame
Inka-Sprache Ketschua (Quetchua) und die Verbreitung des Sonnengotteskultes
die Reichsintegration.
Kolonisation
Die rasche Unterwerfung der
altamerikanischen Großreiche durch die Spanier und Portugiesen begann
praktisch unmittelbar nach der Ankunft des Christoph
Kolumbus 1492. Die Azteken wurden Opfer eingeschleppter
Krankheiten, gegen die sie keine Immunabwehr besaßen, und der überlegenen
Kriegstechnologie der Eroberer. Obwohl für die Inka grundsätzlich
dasselbe gilt, beruht die überraschend schnelle Niederlage des gut organisierten
Staates auch auf einem tragischen Zufall: Als die Konquistadoren das Reich
betraten, wurden sie von den Inka für Götter gehalten. Ihe Priesterschaft
kündigte für diesen Zeitpunkt die Ankunft des Quetzalcoatl an, der
weißhäutig und bärtig aus dem Osten kommen sollte, um den
aztekischen Thron einzunehmen. Die äußerliche Übereinstimmung
mit den spanischen Banden unter Führung Francisco Pizarros verzögerte eine
kriegerische Abwehrreaktion. Nach der Ermordung des Inka Atahualpa 1533 war das Reich
praktisch enthauptet und die zentralistische Ordnung brach rasch zusammen.
Zudem erhielten die Spanier Hilfe von den bisher unterdrückten Völkern,
die von Seiten der Eroberer vergebens eine Belohnung erwartet hatten. Während
des 16. Jahrhunderts festigte sich die imperialistische Organisationsstruktur
der Kolonisatoren und sicherte die spanisch-portugiesische Oberhoheit bis
ins 19. Jahrhunder.