Der Berg © Dr. Alexander Stahr DR. ALEXANDER STAHR Eigentlich ist der 3970 Meter hohe Eiger im Berner Oberland eher der Unscheinbarere des Dreigestirns Eiger, Mönch und Jungfrau. Doch er ist berühmter als seine über 4000 Meter hohen Nachbarn. Viel berühmter! Es ist seine berüchtigte Nordwand, die ihn in der ganzen Welt bekannt gemacht hat. Wegen der zahlreichen Todesopfer, die diese 1800 Meter hohe Wand im Laufe der Jahre forderte, wurde sie in der Presse zur “Eiger-Mordwand“.Der Name “Eiger“ wurde im Jahr 1252 erstmals schriftlich erwähnt. Es gibt unterschiedliche Deutungen für den Namen des Berges. Das Wort “Eiger“ ist mit dem lateinischen Ausdruck “acer“ und dem griechischen Wort “akros“ verwandt. Beides bedeutet “scharf“ oder “spitz“. Die alte Schreibweise “Heiger“ könnte bedeuten, dass diese Bezeichnung aus dem Schweizerischen “dr hej Ger“ entstanden sein könnte. Der “Ger“ war der Wurfspieß der Germanen, eine spitze Waffe. Und von Osten her gesehen erscheint der Eiger durchaus einer Speerspitze ähnlich.Wie dem auch sei, eines steht fest: Der Eiger ist wesentlich älter als die Germanen. Vor rund 150 Millionen Jahren dehnte sich im Gebiet der heutigen Alpen und dem Schweizer Mittelland ein flaches Meer aus. Sand, Ton und Kalk wurden über Jahrmillionen in mächtigen Schichten auf dem Meeresboden abgelagert. Aus diesem Material sollte einmal der Eiger entstehen. Vor rund 90 Millionen Jahren begann die Alpenfaltung. Enorme Schubkräfte aus dem Süden trieben Afrika nach Norden gegen Europa. Schließlich wurden die Meeresbodensedimente emporgehoben und das Kalkgestein des Eiger gelangte an die Oberfläche. Seine heutige Form mit der imposanten Nordwand verdankt der Berg den Prozessen der Verwitterung und Abtragung und nicht zuletzt den eiszeitlichen Gletschern.Gipfelstürmer Heinrich Harrer (links) mit seinem Team 1938 auf dem Gipfel der Eiger Nordwand.Heinrich Harrer (links) mit seinem Team 1938 auf dem Gipfel der Eiger Nordwand. wissen media Verlag GmbH, Gütersloh Die Erstbesteigung des Eiger gelang den Grindelwalder Bergführern Christian Almer und Peter Bohren gemeinsam mit ihrem irischen Gast Charles Barrington am 11. August 1858. Doch die “Mordwand“ musste noch 80 Jahre auf ihre ersten Bezwinger warten. Die Erstdurchsteigung der 1800 Meter hohen Wand gelang erst im Jahr 1938. Am 21. Juli 1938 brachen die Deutschen Anderl Heckmair und Ludwig Vörg sowie die Österreicher Heinrich Harrer und Fritz Kasparek auf, sie zu bezwingen. Nach vier Tagen, am 24. Juli, hatten sie es als Erste geschafft.Der Begriff “Gipfelstürmer“ gebührt jedoch einem anderen Alpinisten. Denn erst am 27. Juli 1983 wurde der Eiger über seine Nordwand erstmals richtig “gestürmt“. Seilfrei, alleine und mit einer Tafel Schokolade als Proviant raste der Salzburger Extrembergsteiger Tomas Bubendorfer in nur vier Stunden und 50 Minuten durch das steinerne Amphitheater.Seit der Erstbegehung 1938 sind mehr als 20 neue Routen durch die Nordwand von den besten Kletterern und Alpinisten der Welt durchstiegen worden. Und immer waren Zuschauer dabei. Von der Kleinen Scheidegg aus, am Fuß der Eiger-Nordwand, kann man bequem und ohne Risiko die Kletterer mit dem Fernrohr beobachten.Im September 1999 installierte man zwölf Kameras in der Wand: Eiger-Live hieß das Motto. Vier Extrem-Bergsteiger mit zusätzlichen Kameras im Schutzhelm, Mikrofonen und Kopfhörern durchstiegen die Eiger-Nordwand für das Fernsehen. Zwei Jahre lang hatte sich das ganze Team auf diesen Tag vorbereitet. Bei der Besteigung waren hunderttausende Fernsehzuschauer per Live-Übertragung dabei. Welch ein Wandel von der “Mordwand“, der großen Herausforderung der Alpen, zum Tummelplatz für ein Medien-Spektakel!Leben am BergDie Nordwand des Berges forderte neun Todesopfer, bevor sie im Sommer 1938 erstmals bezwungen wurde. Während sich zahllose Touristen am Fuß des Berges tummeln, Urlaub machen und sich erholen, kämpfen mitunter andere ums nackte Überleben in der Eiger-Wand.Eine der größten Tragödien – und sicherlich die bekannteste in der Geschichte des Alpinismus – ereignete sich im Jahr 1936. Am 18. Juli stiegen die Bayern Toni Kurz und Andreas Hinterstoisser aus Bad Reichenhall sowie die Österreicher Willy Angerer und Edi Rainer in die Nordwand ein. Nachdem sie bereits einige Tage in der Wand verbracht und dank Hinterstoisser eine äußerst schwierige Felsplatte mittels Seilquerung geschafft hatten (Hinterstoisser-Quergang), begannen die beiden Zweierseilschaften unerwartet den Abstieg. Angerer hatte sich verletzt. Doch am Hinterstoisser-Quergang gab es bei Schneefall, Wind und Nebel kein Zurück. Die Bergsteiger hatten nach der Überquerung der Felsplatte fatalerweise das Geländerseil abgezogen. In umgekehrter Richtung konnten sie jedoch keine Seilquerung durchführen.Der Strecken- und Stationswärter der Jungfraubahn hörte Stunden später die Hilferufe von Toni Kurz vom Stollenloch der Bahnstrecke aus, das in die Nordwand führt. Toni Kurz stand, gesichert mit einer Seilschlinge, auf ein paar Tritten in der Wand. Alle anderen waren umgekommen. Eine Rettungsmannschaft eilte herbei und sah ihn knapp 100 Meter höher in der Wand. Da es dunkel wurde, musste Kurz jedoch eine weitere Nacht am eisigen Kalkberg ausharren.Am nächsten Tag ließ man Kurz zwei Seile zu sich hochziehen. Er verband sie vor dem Abseilen über einen Überhang mit einem schicksalshaften Knoten. Denn an diesem blieb der Abseilkarabiner von Kurz nur drei Meter von den Rettern entfernt hängen. Die Mitglieder der Rettungsmannschaft sprachen ihm Mut zu, den Seilknoten durch den Karabiner zu drücken, um sich weiter vom Überhang abzuseilen. Aber Toni Kurz hatte keine Kraft mehr. Dass er überhaupt noch eine Nacht im Schneesturm durchgestanden hat, grenzte schon an ein Wunder. “Ich kann nicht mehr“, “es geht nicht“ waren seine letzten Worte. Dann kippte Kurz leblos vornüber.Trotz modernster Ausrüstung, Trainingsmethoden und Bergrettung aus der Luft ist der Eiger mit seiner Nordwand auch heute noch ein sehr ernstzunehmendes Kletterziel. Und die anderen Anstiege auf seinen Gipfel, darunter der bekannte Mittellegigrat, sind ebenfalls kein Tummelplatz für Gelegenheitsalpinisten.Alexander Stahr/Lesestein.de