Kwadjo lebt in einer Kirche. Nicht weil er so gläubig ist – obwohl er das durchaus ist –, sondern weil er kein anderes Zuhause hat. Der 25jährige Ghanaer ist einer von rund 80 afrikanischen Flüchtlingen, die seit April in der Hamburger St.-Pauli-Kirche untergekommen sind. Seitdem libysche Rebellen ihn vor zwei Jahren auf einem überfüllten, seeuntauglichen Boot über das Mittelmeer schickten, ringt Kwadjo darum, ein neues Leben anzufangen. Denn sein altes gibt es nicht mehr.

Kwadjo lebt zurzeit in der Hamburger St.-Pauli Kirche. Sie versteht sich als "Embassy of Hope" – Botschaft der Hoffnung - für die Afrikaner.
Alexandra Mankarios
Die libysche Hauptstadt Tripolis ist den Deutschen vor allem als letzte Bastion Gaddafis in Erinnerung geblieben – die Stadt, die erst im August 2011 von den Rebellen des arabischen Frühlings eingenommen wurde. Ein halbes Jahr tobte da der Bürgerkrieg in Libyen bereits, ein internationales Militärbündnis unterstützte die Rebellen dabei, Gaddafi von seinem Diktatorthron zu stürzen. Als die Eroberung Tripolis’ näher rückte, jubelte die Welt.
Für Kwadjo war Tripolis bis zum Bürgerkrieg vor allem eins: Heimat. Eine andere kannte er nicht, seit er als Jugendlicher mit seinen Eltern und seiner Schwester von Ghana nach Libyen gezogen war. In Tripolis ist er erwachsen geworden, hier hat er einen Beruf gelernt, Arabisch spricht er fließend. „Meine ganze Familie war da. In Ghana kenne ich niemanden, wirklich niemanden“, betont er. Immer wieder wiederholt er die Worte, um ihnen Nachdruck zu verleihen. Es ist ihm wichtig, dass man ihm glaubt – nachweisen kann er seine Geschichte nicht. Alle Dokumente, die seine Angaben belegen könnten, musste er in Tripolis zurücklassen, als die Rebellen ihn aus seiner Wohnung zerrten. Seinen Pass, sein Berufsabschluss-Zertifikat, Geburtsurkunde, nicht einmal ein Foto seiner Familie hat er mitnehmen können.
Das Elternhaus in Trümmern
Vor dem Bürgerkrieg war Kwadjo mit seinem Leben in Libyen ziemlich zufrieden. Man habe keine Miete, kein Wasser und keinen Strom zahlen müssen, das habe Gaddafi schon gut gemacht, meint er. Wie sein Vater hat Kwadjo auf Baustellen gearbeitet, die Fassaden von Häusern, Moscheen, Kirchen verputzt. Sonst hat er das Haus kaum verlassen. „Afrikaner sind abends häufig kontrolliert worden, das war gefährlich.“ Mit dem Bürgerkrieg spitzte sich die Lage für Kwadjo in Libyen zu. „Gaddafi hatte viele afrikanische Soldaten. Deshalb hielten die Rebellen alle Afrikaner für Söldner“, erklärt Kwadjo. „Aber ich bin kein Soldat! Ich habe einfach nur in Libyen gelebt und gearbeitet.“
Ob seine Eltern noch leben, weiß Kwadjo nicht. „Ich bin nach einem Bombenangriff zu ihrem Haus gegangen. Aber da war nichts mehr. Alles lag in Schutt und Asche, eine Bombe hatte das ganze Haus zerstört. Es war alles, alles zerstört.“ Mit Gesten versucht Kwadjo, die Zerstörung zu beschreiben. Seine Hände rudern in großen Kreisen durch die Luft, versuchen, das Bild zu erklären, für das die Sprache keine Worte hat – wie breit, wie groß, wie leer dieser Raum war, an dem das Haus seiner Eltern gestanden hatte. „Manchmal rufe ich einen Freund in Tripolis an und frage, ob er meine Eltern gesehen hat. Aber er kann mir auch nichts sagen. Ich weiß nicht, wie ich sie sonst suchen könnte. Ich weiß ja gar nicht, ob sie überhaupt noch leben. Es war einfach alles dort zerstört.“